Der Jeep quietscht und holpert, wird immer wieder ausgehoben
und kracht unsanft in ein Schlagloch zurück. Dann beginnt er sich nach rechts zu
neigen. Erst ein wenig, dann mehr, dann zusätzlich nach vorne. Die
Windschutzscheibe umrahmt jetzt ein Panorama, das aus einem Flugsimulator
stammen könnte. Reben, soweit das Auge reicht, vor einem hochliegenden, schräg
verlaufenden Horizont. Langsam greifen die Bremsen. Die voll eingeschlagenen
Vorderräder suchen staubwirbelnd neuen Halt. "Sind Sie schwindelfrei ?", fragt
mich der Fahrer des Geländewagens mit einem schalkhaften Lächeln und läßt, als
ihn ein klamm dahingelächeltes Kopfnicken bestätigt, die Kupplung wieder kommen.
Die Haarnadelkurven in diesem Weinberg sind eng, steil, erodiert. Der Jeep
windet sich mit einem bedrohlichen Kippeln um die erste Hälfte der Wegbiegung,
bis sich die vordere Stoßstange der ersten Rebzeile nähert. Bremsen. Jetzt
gefühlvoll rückwärts mit ein wenig Gegenlenken. Der Spielraum nach hinten
beträgt etwa einen Meter. Stop. Das Lenkrad voll zurückgekurbelt, wenden sich
auch die Blicke wieder nach vorn, und schon hopst das Geländefahrzeug bergab um
die Spitzkehre. Die Aussicht vor der Windschutzscheibe kehrt ins Lot zurück, und
so können auch die Gespräche weitergehen. Mein artistisch fahrkundiger Begleiter
ist Dottor Paolo Bisol, Direktor des angesehenen Weingutes Ruggeri & C., und
das beschriebene Abenteuer findet inmitten desjenigen...
Weinbergs statt, der den Mythos des Prosecco begründet hat: inmitten der Cartizze. Die Bergbauern haben vor vielen Jahrhunderten genau hier den Prosecco erfunden, oder vielmehr: Sie haben ihn mehr oder weniger per Zufall entdeckt. Den Sommer über lebten sie damals in kleinen Hütten im Weinberg, bis auf 500 Meter über Meer hoch. Dort kelterten sie im Herbst auch ihre Prosecco-Trauben. Schon im November jedoch werden die Nächte in dieser Höhe sehr kalt. Das war für die Prosecco-Pioniere die Zeit, in ihre Winterquartiere am Ufer des Piave-Flusses zurückzukehren. Die gärenden Moste ließen sie zurück. Bei ihrer Rückkehr im Frühjahr fanden die Bergbauern das Ergebnis einer erstaunlichen Verwandlung: Die ganze Hütte duftete nach Äpfeln, die Weine sprudelten ein wenig - und waren süß. Man muß sich vor Augen halten, daß in jenen Tagen die meisten Weine ziemliche Säuerlinge gewesen sein müssen. Süßstoffe wie Zucker und Honig konnten sich nur die reichsten Stadtbewohner leisten. So verbreitete sich die Kunde vom bäuerlichen Nektar aus Valdobbiadene schon in jenen Tagen wie ein Lauffeuer. Der Original-Prosecco muß das Resultat von Gärstockungen durch die Kälte gewesen sein. Sicherlich war er nicht sehr sauber, wenn man unsere heutigen Maßstäbe anlegt. Moderner Prosecco wird kontrolliert im Drucktank vergoren. So lassen sich Restzucker und Kohlensäure genau dosieren. Außerdem kann man das Traubenaroma besser schonen. Die Süße des...
Prosecco spielt heute keine ganz so große Rolle mehr wie früher. Zwar schätzt der italienische Inlandsmarkt die meist als "dry" ausgebauten Weine aus den Cartizze sehr - und honoriert sie mit saftigen Preisen. Doch gerade im Export erfreuen sich die raffiniert balancierten "extra dry"-Typen und die knackigen "brut"-Versionen größerer Beliebtheit. Als halbtrockene Weine werden außerdem auch kleinere Mengen "frizzante" - Weine, die nur ein bißchen perlen - und sogar Stillweine produziert.
Ein weiterer Grund, warum die Cartizze und generell die Weinberge um Valdobbiadene so berühmt wurden, ist deren karger, steiniger Untergrund. Am östlichen Ende des Anbaugebiets, in der Gegend von Conegliano, sind die Böden lehmiger, und der Prosecco erhält mehr Schmelz. Doch nur in den besten Weinen Valdobbiadenes kann man neben dem sortentypischen Apfelduft mineralische Noten finden, Spuren des Terroir, die vom Geruch nach feuchten Steinen bis zu intensiven Feuersteinaromen reichen. Ein Teil der Prosecco-Welt strebt daher ganz anderen Idealen entgegen: Statt auf den Verschnitt geeigneter Grundweine zu setzen, streben...
einige Produzenten für ihre Spitzenprodukte Einzellagenweine mit Jahrgangsdeklaration an. Dem Jahrgang kommt vor allem eine gewisse Bedeutung zu, weil die überaus meisten Prosecchi frisch am besten schmecken. Besonders begünstigte Einzellagen können darüberhinaus höchst individuelle Weine erbringen. Nicht nur die Cartizze besitzen hohen Wiedererkennungswert, so beispielsweise die Botschaft der Brüder Armando und Franco Adami mit ihrem Jahr für Jahr bestechend subtilen dry Vigneto Giardino. Ein anderes Familiengut, dasjenige von Primo Franco, setzt vor allem für die Produktion von stillem Prosecco auf eine Einzellage. Für seinen Sassi bianchi hat Primo Franco jüngst eine mit weißen Kieseln durchsetzte Parzelle mit alten Prosecco-Clonen aufgestockt. Erfahrung mit Jahrgangs-Schaumweinen hat die Kellerei Franco schon seit über zwanzig Jahren. Die mit etwa 20 bis 30 Gramm Restzucker ausgebaute Top-Selektion Primo Franco aus dem Jahrgang 1995 beispielsweise probierte sich im Frühjahr 2000 noch voller Frucht und mit beeindruckend feinmoussierend-crémiger Gaumenstruktur. Den leicht gezehrten 92er übertrumpfte bei dieser denkwürigen Degustation ein mit Honigaromen spielender, von seiner Süße gestützter 86er. Eine Offenbarung zuletzt der 83er. Dieser 17 Jahre alte Prosecco, damals als frizzante ausgebaut, deutet noch heute in seinem hellgelben Farbton Jugendlichkeit an. Die Kohlensäure ist im Mund kaum noch zu spüren. Dennoch wirkt dieser Wein kompakt, entfaltet ein elegantes Spiel von Süße und Säure und endet mit intensiv nachhallenden Apfelaromen. Während der Verkostung bat ich Primo Franco um ein Experiment, das dem Abenteuergehalt einer Jeepfahrt in den Cartizze in nichts nachstehen sollte: Der nach der ersten Probe verbliebene Rest der Flasche wurde in eine Karaffe dekantiert. Nach einer halben Stunde erschien neben den schon zuvor wahrnehmbaren buttrigen Komponenten ein mineralischer Duft von überströmender Feinheit. Wer hätte das gedacht: Es gibt ihn, den Prosecco mit Cru-Ambitionen.